Auf unserer Reise nach Kenia waren wir zu Besuch im Gesundheits- und Bildungszentrum in Entesekera, wo sich die Zillertaler Ärztin Maria Schiestl für medizinische Grundversorgung und über Aufklärung und Seminare für die Rechte von Frauen einsetzt. Sie kämpft u.a. gegen die traditionelle Beschneidung von Frauen.
FGM ist die Genitalverstümmelung an Frauen, die immer noch in ca. 30 Ländern weltweit praktiziert wird. Die Abkürzung steht für Female Genital Mutiliation. Weltweit sind laut WHO 200 Millionen Frauen und Mädchen Opfer von Genitalverstümmelung. Das Risiko verstümmelt zu werden, betrifft 3 Mio. Mädchen pro Jahr.
Wer sich darunter nichts vorstellen kann: jungen Frauen bzw. meist Kindern werden dabei die Schamlippen und die Klitoris entfernt (je nach Region gibt es unterschiedliche Formen). „Das passiert meist in einer dunklen Hütte mit einer Rasierklinge“, schildert Maria Schiestl. Die Schmerzen müssen unvorstellbar sein. FGM ist grausam, völlig sinnlos und eine schwere Menschenrechtsverletzung.
Es dauert an die drei Monate, bis die Mädchen danach zum ersten Mal wieder die Hütte verlassen. Viele leiden das ganze Leben unter den Folgen. Abgesehen vom Infektionsrisiko werden zum Beispiel Geburten durch das Narbengewebe erschwert.
Maria Schiestl hat schon viel erlebt und gesehen, wenn sie von der Situation der Frauen im Land der Massai erzählt, wird sie aber nach wie vor emotional und steigen ihr die Tränen in die Augen.
In ihrem Wohnzimmer in Entesekera hängt ein großes Plakat, auf dem sie mit ihrem Team Hindernisse der medizinischen Versorgung aufgeschrieben hat. „Live-stock seems to be more valid than women & children“, steht da unter anderem (Vieh ist mehr wert als Frauen und Kinder).
Die Frauen werden meist bald nach dem Einsetzen der ersten Regel verheiratet, viele im Alter von elf, zwölf Jahren. Sie bekommen ihr erstes Kind, wenn sie selbst noch Kinder sind.
Männer dürfen erst mit 30 heiraten. Je nach Besitz, also der Größe der Rinderherde, können sie mehrere Frauen haben. Kommen Besucher und sind diese etwa im gleichen Alter wie der Ehemann, dürfen diese auch die Frauen ausleihen. HIV ist daher weit verbreitet.
Die Frauen erledigen den Großteil der Arbeit. Sie melken die Kühe, holen das Wasser, kochen, waschen, bauen die Häuser und ziehen die Kinder groß. „Wird eine Ziege geschlachtet, bleiben den Frauen meist nur der Kopf und die Beine. Unterernährung betrifft somit überwiegend die Frauen und Kinder“, schildert Schiestl.
Neugeborene werden traditionell von der Schwiegermutter in Empfang genommen und der Mutter anfangs nur zum Stillen gegeben. Die emotionale Bindung soll nicht zu groß werden. „In unserer Gesundheitsstation machen wir das anders. Hier bekommt die Mutter das Kind“, so Schiestl. Erst nach rund einem Jahr bekommen die Kinder einen Namen, dann wird ein Fest gefeiert und beiden die Haare geschoren, bei den Massai ein Schönheitsideal.
Eine Arztkollegin aus Österreich hat Maria Schiestl vor einiger Zeit in Kenia besucht und ihr nahegelegt, die Beschneidung der Frauen doch zumindest im Krankenhaus unter sterilen Bedingungen durchzuführen. Maria Schiestl hat dazu eine ganz klare Meinung: „Das kommt überhaupt nicht in Frage!“
Ihr Ansatz ist ein anderer. Er lautet: Bildung, Aufklärung, Empowerment, die Frauen in ihrer Würde stärken und über sie – gemeinsam mit den Männern – Veränderungen zu bewirken.
In Kenia ist die Genitalverstümmelung seit 1963 verboten. Ein Verbot alleine ändert allerdings herzlich wenig.
Maria Schiestl hat im Bildungszentrum in Entesekera im Süden von Kenia im Jahr 2008 eigene Seminare für Frauen eingeführt. Diese dauern eine ganze Woche. Während dieser Zeit bekommen die Frauen regelmäßige Mahlzeiten und schlafen – oft das erste Mal in ihrem Leben – in einem Bett.
Was aber viel wichtiger ist: Sie hören zum ersten Mal, dass es so etwas wie Frauen- und Kinderrechte gibt. „Die Frauen dürfen traditionell nicht in der Öffentlichkeit oder mit ihrem Mann sprechen. Ihnen wird beigebracht, dass sie keine Schwäche zeigen oder weinen dürfen.“ Gelehrt werden u.a. Familienplanung, das Erkennen von Krankheitssymptomen, Hygiene.
Nach einiger Zeit erzählen die Frauen dann ihre Geschichten. „Das sind die berührendsten Momente.“ Maria Schiestl versucht, die Frauen zu ermutigen, die Männer einzubeziehen und an ihrem Wissen teilhaben zu lassen. Zum Teil ist das gar nicht so schwierig, denn auch ihnen gefällt, dass die Frauen in neuem Licht erstrahlen. Manche schicken ihre Frauen sogar gezielt zu den Seminaren.
Mittlerweile hat sie über 1000 Frauen erreicht. An einem Holzmodell wird vorgezeigt, was bei der Genitalverstümmelung passiert. Langsam aber sicher zeigen sie Erfolge. „Die Beschneidung ist ein Ritual, das meist in der Gruppe durchgeführt wird. Daher ist es so wichtig, dass wir alle Generationen erreichen. Mittlerweile gibt es Ersatzrituale. Das heißt, die Beschneidung wird teilweise nicht mehr durchgeführt und die Mädchen stattdessen in den Oberschenkel geritzt. Das ermöglicht es, den Schein zu wahren“, berichtet Schiestl.
„Manche Frauen kommen öfters zu den Seminaren. Sie erzählen dann, dass sich vielleicht zu Hause nichts geändert hat, dass aber sie selbst anders geworden sind und anders mit Situationen, Traditionen und Ritualen umgehen. Das ist es, was zählt und was eine langfristige Veränderung bewirkt. Um Genitalverstümmelung auszurotten, braucht es die richtige Strategie“, ist Schiestl überzeugt.
Sich von Europa aus überheblich einzumischen, reicht dazu sicher nicht aus.
Wer die Arbeit von Maria Schiestl unterstützen möchte, kann das über die Organisation Sterntaler tun. Bankverbindung: IBAN: AT26 3624 1000 0005 3876, BIC: RZTIAT AT22 241.
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